Der Studierendenrat der Universität Halle spricht sich grundsätzlich gegen Anwesenheit als Kriterium für Prüfungszulassungen und das Abschließen von Module, besonders aber gegen die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen aus. Hierbei stützt er sich einerseits auf die Überzeugung, dass das Studium eine Beschäftigung selbstbestimmter und –verantwortlicher Individuen sein sollte, welche ihre Zeit ebenso selbstständig organisieren dürfen. Andererseits beruft er sich auf das Landeshochschulgesetz und die darin verankerte Freiheit des Studiums.
Die Anwesenheitspflicht im Allgemeinen:
Der Begriff der „Anwesenheitspflicht“ ist nicht unumstritten, schließlich wird niemand mit vorgehaltener Waffe gezwungen an einer Veranstaltung teilzunehmen. Im Folgenden bezieht er sich auf die Praxis, Studierenden den Zugang zu Prüfungen und Leistungspunkten mit Verweis auf die fehlende Anwesenheit zu verweigern, den*die Abschluss-suchende*n Student*in, also de facto zur Anwesenheit zu verpflichten. An der Universität Halle besteht eine verwirrende Anzahl von Regelungen zum diesem Thema. In manchen Instituten kommt man offensichtlich ganz ohne Pflicht dazu aus, während andere Bereiche das ein- bis fünfmalige unentschuldigte Fehlen im Semester ermöglichen. Ähnlich divergierend sind die Regelungen bei verschiedenen Lehrformaten: Vorlesungen, Seminare, Übungen und Colloquien werden oft anderen Regelungen unterworfen, manchmal aber auch den gleichen. Diese Vielzahl führt allerdings nicht zu einer größeren Lehr- und Studienfreiheit, sondern hauptsächlich zur Verwirrung von Studierenden, die sich dadurch ihrer Rechte – einmal mehr – nicht bewusst sind und sich den jeweils individuellen Regelungen unterwerfen müssen. Um als Studierendenvertretung effektiv Aufklärung leisten zu können, muss das Chaos um die Anwesenheitspflicht beseitigt werden – eine grundsätzliche Abschaffung wäre hier zielführend.
Trotz dieser Vielzahl lassen sich mehrere Sachen feststellen:
1.) Die Pflicht zur Anwesenheit nimmt den Studierenden die Entscheidung für oder gegen eine Veranstaltung ab. Der eigene Wissensstand, die Qualität der Veranstaltung, die Motivation der Teilnehmer*innen oder die individuellen Rahmenbedingungen jeder*s einzelnen spielen dabei keine Rolle.
2.) Die Pflicht ist zentrales Ergebnis der „Verschulung“ der Studiengänge durch die Bologna-Reform. Davor war die Hochschule insgesamt sicherlich nicht viel besser, die Vorstellung Student*innen einer so strengen Aufsicht zu unterwerfen und über ihr (Nicht-)Erscheinen Buch zu führen, war aber kaum verbreitet. Grundsätzlich traut man Studierenden weniger zu und versucht sie möglichst schnell durch den Bachelor zu schleusen – also soll der*die Student*in unbedingt anwesend sein.
3.) Die Pflicht nimmt im universitären Alltag die Rolle einer Studienleistung ein. Studienleistungen sind Voraussetzungen um die Prüfungs- bzw. Modulleistungen abschließen zu können und verrechnet zu bekommen. Tatsächlich ist von „Anwesenheit“ als Studienleistung weder in den „Allgemeinen Bestimmungen zur Studien- und Prüfungsordnung“ der Universität Halle die Rede, noch in den einzelnen Ordnungen.
4.) Die fehlende Aufnahme in die Ordnungen hat einen Grund: Die Anwesenheitspflicht ist juristisch höchst umstritten. Im Landeshochschulgesetz wird unter §4 relativ deutlich die Freiheit des Studiums geregelt. Diese Freiheit drückt sich in der freien Wahl der Lehrveranstaltungen oder eben der Abwesenheit, der „Nicht-Wahl“ aus, welche nur durch für den prozessualen Ablauf der Hochschule unbedingt notwendige Maßnahmen behindert werden darf. Das ist bei der Anwesenheitspflicht nicht der Fall!
5.) Auch die Landesregierung teilt unsere Rechtsauffassung, im März 2010 gab das damals noch zuständige Kultusministerium auf eine Anfrage im Landtag bekannt, dass es „grundsätzlich“ für Anwesenheitspflichten keine Legitimation sehe. Es sei denn es ginge um Veranstaltungen mit einem besonders partizipativen Charakter, also solche, die ohne eine ausreichende Menge mitarbeitender Teilnehmer*innen nicht funktionieren würde.
Die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen:
Auch wenn sich die geäußerte Kritik auf fast alle Veranstaltungen beziehen könnte, die an der Universität Halle angeboten werden, wird die rechtliche und inhaltliche Schieflage doch besonders bei der Anwesenheitspflicht in Vorlesungen deutlich. Hier ist offensichtlich, dass die Anwesenheit der Studierenden keinerlei konstruktiven Effekt für die Veranstaltung hat, welche auch ganz ohne Hörer*innen stattfinden könnte. Vorlesungen sind nicht partizipativ und es gibt keinen Hinweis darauf, dass Studierende neben ihrer erzwungenen Anwesenheit irgendwie angesprochen werden bzw. irgendetwas tun müssen oder dürfen. Tatsächlich erscheint diese Pflicht oft wie die Entmündigung von Studierenden, die als nicht ausreichend eigenverantwortlich betrachtet werden, um in der Vorlesung zu erscheinen und sich zwei Stunden lang beschallen zu lassen. Dieser Behauptung widersprechen wir als Studierendenrat aufs Schärfste: Studierende sind individuell so verschiedene Menschen, wie sie in der modernen Gesellschaft nun einmal vorkommen. Ihnen steht allerdings allen die Freiheit zu, selbst entscheiden zu können, ob sie Vorlesungen besuchen oder sich das Wissen selbst aneignen. Die Studierenden sind in der Lage selbst Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen und brauchen dafür keine vermeintlich pädagogisch gemeinten Listen, die ihre selbst verwaltete Zeit protokollieren!
Die PDF gibt es auch als Download
(Text: Lukas Wanke – Referent für Innere Hochschulpolitik)