Eigentlich ist das Bewusstsein dafür, dass man bei einer Erkrankung vielleicht mal drei Tage zu Hause bleiben kann, durchaus gewachsen. Ärzt*innen bitten die Patient*innen förmlich darum, die Apothekenumschau warnt vor den Folgen des „Präsentismus“ [1] und generell wird zu Recht die Normalisierung von Krankschreibungen angestrebt. Gesundheit geht vor!

Das gilt allerdings nicht für manche Teile der Universität: In den Wirtschaftswissenschaften müssen alle, die sich von einer Prüfung aufgrund von Krankheit entschuldigen wollen, eine Zusatzhürde überwinden: Bei ihnen reicht kein Attest, sondern sie müssen eine sogenannte Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung abgeben. Diese geht über ein „normales Attest“ hinaus und enthält die Symptome der Krankheit und wird dann dem Prüfungsamt vorgelegt. Deshalb gilt diese Bescheinigung auch als „privatärztliches Attest“ für das die Studierenden teilweise sogar zahlen und grundsätzlich den*die Ärzt*in von der Schweigepflicht entbinden müssen [2].

Das Prüfungsamt der WiWi führt dazu aus, dass diese Praxis der Schweigepflicht „letztlich nicht entgegensteht“, weil die Studierenden ja freiwillig auf den Schutz dieser verzichten würden, um die „berufene Stelle [also das Prüfungsamt] in die Lage zu versetzen, die Richtigkeit der erhobenen Behauptung [also die Krankheit] nachzuprüfen“. Deshalb muss die Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung die „konkrete Beschreibung der gesundheitlichen Symptomatik“ und die „sich daraus ergebende Beeinträchtigung durch die Störung bestimmter geistiger oder körperlicher Funktionen“ enthalten [3].

Kurzum: Wer die Prüfung nicht antreten kann, muss im Zweifelsfall Geld zahlen, den*die Ärzt*in von der Schweigepflicht entbinden, seine*ihre Symptome dem Prüfungsamt vorlegen und dann darauf hoffen, dass die von Nicht-Mediziner*innen vorgenommene Prüfung positiv ausfällt. Erholung geht anders. Und diese Problematik finden wir nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften. Auch in der Medizinischen Fakultät [4] und der Naturwissenschaftlichen Fakultät I [5] werden mindestens teilweise Prüfungsunfähigkeitsbescheinigungen verlangt.

Als Sprecher*innenkollegium des StuRas stellen wir fest, dass dieses Vorgehen die Gesundheit von Studierenden gefährdet. Wer sich nur krankmelden kann, wenn die eigene Privatsphäre aufgegeben werden muss und zusätzliche bürokratische Hürden zu überwinden sind, wird das verständlicherweise eher nicht tun. Aber nicht nur das: Diese Praxis offenbart auch ein grundsätzliches Misstrauen der Fakultäten gegenüber den Studierenden [6]. Denn auch wenn die Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung nicht illegal ist, die betroffenen Prüfungsämter verweise dazu stets auf Gerichtsurteile, so ist sie doch nicht verpflichtend – das zeigt die Tatsache, dass andere Fachbereiche darauf verzichten.

Wir fordern die Dekanate deshalb dazu auf, sich klar gegen Prüfungsunfähigkeitsbescheinigungen zu positionieren und diese Praxis zu beenden. Das Rektorat der MLU muss dafür sorgen, dass einfache Atteste als ausreichend angesehen werden. Alternativ muss alles dafür getan werden, um auf einem anderen Weg die Privatsphäre der Studierenden zu schützen und Gesundheitsschutz nicht zu gefährden. Eine Möglichkeit bestünde etwa darin, die maximale Anzahl von Prüfungsversuchen aufzuheben und die Prüfungsabmeldung damit irrelevant zu machen [7]. Da das Problem auch an anderen Hochschulen des Landes besteht, ist auch die Landesregierung in der Pflicht, beim Hochschulgesetz nachzubessern und Prüfungsunfähigkeitsbescheinigungen zu verbieten.

Das Problem muss jedenfalls gelöst werden, denn viel zu viele Studierende mussten schon auf den Schutz ihrer Daten und Gleichberechtigung verzichten!

Verweise:

[1] https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/krank-zur-arbeit-was-praesentismus-fuer-die-gesundheit-bedeutet-862581.html

[2] https://pruefungsamt.wiwi.uni-halle.de/faq/

[3] Alle Zitate: https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=66741&elem=3492849

[4] https://www.umh.de/fileadmin/Einrichtungsordner/Institute/Anatomie_und_Zellbiologie/Lehre/Aerztliches_Attest_Formular.pdf

[5] https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=42186&elem=2970330

[6] Das wird bereits seit Jahren kritisiert: https://www.mz.de/lokal/halle-saale/uni-halle-saale-professoren-reicht-arztliches-attest-bei-prufungen-nicht-mehr-1332672

[7] https://wiki.uni-bielefeld.de/bisinfo/index.php/Erl%c3%a4uterungen_zu_den_%22Rahmenpr%c3%bcfungsordnungen%22