„Ideologie? Das haben die anderen!“
Befürworter*innen des Genderverbots (immer)

Die Diskussion rund um apl. Prof Jürgen Plöhn aus der Politikwissenschaft ist um eine Drehung reicher. Denn Jürgen Plöhn, der in seinen Seminaren ein striktes „Genderverbot“ verhängt hatte und Studierenden mit Sanktionen in Form einer schlechteren Note droht, darf wieder Leistungspunkte für seine Seminare vergeben und hat wieder Zugang zur Infrastruktur der MLU. Während das Institut für Politikwissenschaft und das Rektorat aus einer Einschränkung der studentischen Freiheit und Selbstbestimmung zuerst die richtigen Konsequenzen gezogen und seine Lehre aus dem Pflicht-Curriculum herausgenommen hatte, rudert man nun zurück. Wie die Mitteldeutsche Zeitung am Mittwoch berichtete, habe man sich geeinigt, nachdem sich Plöhn in der Öffentlichkeit als gemobbt und diskriminiert bezeichnete und dafür vor den Petitionsausschuss zog.

Als Sprecher*innenkollegium des Studierendenrates der MLU kritisieren wir dieses Zurückrudern der MLU-Leitung, die anscheinend Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Denn es ging nie um die Einschränkung der Freiheit von einem Herrn Plöhn, sondern immer um die Freiheit der Studierenden, die ausgerechnet in einem Fach wie der Politikwissenschaft, in der Sprache die persönliche Position des*der Sprechenden zur Welt reflektiert, hier massiv durch das „Genderverbot“ beschränkt wird. Darüber hinaus besorgt uns die Wiederaufnahme von Seminaren, in denen geschlechtergerechte Sprache qua Machtposition des Dozenten diskreditiert wird, vor dem Hintergrund des Genderverbots an Schulen enorm. Beides ist Ausdruck eines Kulturkampfes von rechts, den wir scharf verurteilen. Wir wünschen uns eine Universität, die hier dagegenhält.

Wie stark der kulturkämpferische Furor der Konservativen und Rechten andere Themen zu überlagern vermag, sehen wir auch am Agieren des Petitionsausschusses. Hier hat Plöhns Auftreten offensichtlich für den entsprechenden Druck gesorgt, auch begleitet durch die Berichterstattung und durch das politische Befeuern des Konfliktes. Denn während sich auf den armen, sich verfolgt gebenden Wissenschaftler gestürzt wurde und ihm alle Machtmittel in die Hand gelegt wurden, wenden sich Studierende auch häufig an den Petitionsausschuss – mit Problemen bei der Miete (viele Grüße an das Studentenwerk!), aufgrund der Unterfinanzierung der Universität oder aufgrund anderer Probleme, die sie konkret im Leben und Lernen einschränken. Jürgen Plöhn war dagegen niemals aufgrund von realen Problem beim Petitionsausschuss. Niemand hat ihn zum „Gendern“, welches er auch schon als „männerfeindlich“ beschrieben hat, gezwungen. Niemand wollte irgendetwas von ihm, außer dass er den Studierenden die Freiheit gibt, ihren eigenen Weg, ihre eigene Sprache und ihre eigene Position zu finden.

Aber es ist in Sachsen-Anhalt derzeit leichter, sich als Opfer von geschlechtergerechter Sprache zu gerieren und einen imaginativen Abwehrkampf vom Zaun zu brechen, als auf die Freiheit zu setzen oder sich mit anderen Themen zu beschäftigen, die man sonst ja angeblich wichtiger findet. Für Sachsen-Anhalt ist diese Woche ein enormer Rückschritt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet diejenigen, die immer gegen das Gendern aufgrund befürchteter “Sprachverbote” wettern, nun eben jene Verbote verhängen. Gegen die „Ideologie“ und die Freiheit der Anderen können an der MLU und an den Schulen die Machtmittel genutzt werden, deren Nutzung man diesen Anderen sonst vorhält. Die Institutionen unseres Bildungssystem werden unehrlich und beschämend.

Dabei gäbe es an diesem Bildungssystem einen ganzen Berg an Baustellen, mit denen sich das verantwortliche Ministerium besser beschäftigen sollte, als Kulturkämpfer*in zu spielen und Genderverbote zu verhängen. Der Lehrkräftemangel an den Schulen nimmt von Jahr zu Jahr erschreckendere Züge an. Schulen greifen gezwungenermaßen auf Seiteneinsteiger*innen zurück oder beschäftigen Referendar*innen wie vollwertige Lehrkräfte. Nicht, weil es den Schulen Spaß machen würde, junge Menschen schon während ihrer Ausbildung dem vollen Pensum auszusetzen, sondern weil eine Bewältigung des Unterrichtsbetriebes vielerorts anders nicht mehr möglich ist. Derweil wird aus der Landesregierung, insbesondere dem Bildungsministerium, gerne mit dem Finger auf die MLU, die einzige richtige Ausbildungsstätte für Lehrkräfte im Land, gezeigt. Dass auch diese ihrerseits mit Personalmangel kämpft und die Lehramtsausbildung an der MLU, insbesondere wegen absurder Anforderungen durch das Land, konstant an der Kapazitätsgrenze läuft, wird dabei geflissentlich ignoriert. Die bittere Wahrheit ist: Das Land Sachsen-Anhalt braucht mehr Lehrpersonal, möchte aber eine angemessene Ausbildung nicht finanzieren. Stattdessen werden, wie mit dem “Genderverbot”, Nebenschauplätze aufgemacht und vom eigentlichen Problem abgelenkt: der Investitionsscheue und Ideenlosigkeit, die die Bildungspolitik seit Jahren auszeichnet.

Wir fordern ein freies und intaktes Bildungssystem, dazu gehören sowohl aktives Vorgehen gegen die Einschränkungen der Freiheit von Studierenden (oder Schüler*innen) durch Lehrende wie Herrn Plöhn, als auch die Ausfinanzierung des Bildungssystems an sich – ob die Verantwortlichen dabei gendern oder nicht, ist uns ehrlich gesagt herzlich egal.