Als Studierendenrat fordern wir grundsätzlich eine unbegrenzte Anzahl an Prüfungsversuchen (siehe hier). Insbesondere während der Corona-Krise und den damit verbundenen Einschränkungen im aktuellen Semester ist es aber umso wichtiger, dass es freie Prüfungsversuche gibt. Die Prüfungen unter den momentanen Bedingungen mit allen üblichen Konsequenzen bezüglich der limitierten Fehlversuche schreiben zu lassen birgt allerdings ein äußerst hohes Risiko, dass Studierende diese aus Unsicherheit schieben werden. Gerade mit Blick auf die neuen Prüfungsformate werden sich Studierende – ganz besonders im Drittversuch – nicht auf Experimente einlassen, die sie nicht einschätzen können. Dabei sollte doch aber allen daran gelegen sein, dass die Studierenden im aktuellen Semester möglichst viele Leistungen ablegen und im Optimalfall auch bestehen, um Studienfortschritte nicht aus reiner Verbohrtheit zu behindern. Gleichsam gilt es, für eine hohe Akzeptanz alternativer Prüfungsformate zu sorgen. Das Ergebnis kann nicht sein, dass ein signifikanter Anteil der Studierenden an diesen nicht teilnimmt, weil sie sie als unwägbar betrachten und zu recht befürchten, dass Lehrende in den neuen Prüfungen ein härteres Maß anlegen als in den bekannten Präsenzklausuren – selbiges geschieht nämlich bisher bereits in vielen der neuen Lehrformate.
Es ist nur verständlich, dass Lehrende sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, in der digitalen Lehre niedrigere Maßstäbe anzusetzen – gleichzeitig führt das aber zu oft zu einer Überkorrektur, in der die Studierenden die Leidtragenden sind. Gerade jetzt sind viele von ihnen im Vergleich zu „normalen“ Semestern weiteren Belastungen ausgesetzt: Unsicherheit, finanzielle Sorgen, Kinderbetreuung oder die Unterstützung von Familienangehörigen. Studierende werden sich dann nicht noch dem Risiko aussetzen, in einer aufgrund eines neuen Formates möglicherweise härteren Prüfung als üblich durchzufallen und dadurch einen Fehlversuch hinzunehmen. Die Realität wird sein, dass die Bemühungen der Dozent*innen um einen möglichst normalen Semesterablauf in diesem Sommersemester für viele Studierende ad absurdum geführt werden und das Semester für sie trotzdem verloren geht.
Auch Präsenzprüfungen sind allerdings nicht der Heiland. Besonders Fachgebiete, die immer noch der didaktisch umstrittenen klassischen Maxime „Erst Wissensvermittlung, dann Kompetenzvermittlung“ folgen, argumentieren derzeit, dass vermitteltes Wissen ausschließlich in schriftlichen Präsenzklausuren abgeprüft werden könne und nehmen dabei in Kauf, Studierende zum Ende des Semesters hin mit Prüfungen zu überhäufen. Es stehen bisher überhaupt nicht genug Räume mit entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung, in denen unter Gewährleistung des Infektionsschutzes geschrieben werden könnte, besonders, wenn für alle Fakultäten eine gleichberechtigte Nutzung ermöglicht werden soll. Weiterhin ist es schlichtweg falsch, dass die Überprüfung von Wissen nur in klassischen Präsenzklausuren erfolgen kann, weshalb der akademische Betrieb eine Vielzahl an Leistungsüberprüfungen kennt. An dieser Stelle müssen unbedingt alte Vorurteile abgebaut werden! Es zeigt sich also auch hier: von normalen Bedingungen kann keine Rede sein.
Trotz unserer Kritik an den bestehenden Zuständen, denken wir bei unseren Vorschlägen nicht nur an die Studierenden, sondern an die gesamte Universität. Es kann schließlich nicht im Sinne der Hochschullehrer*innen sein, im kommenden Jahr von Prüflingen überrannt zu werden, wenn wieder die bekannten Prüfungsformate angeboten werden. Vielmehr ist es auch in ihrem Interesse, wenn Studierende in diesem Semester an Prüfungen teilnehmen können, ohne negative Folgen aus den aktuellen Bedingungen zu befürchten. So bestehen diese im Optimalfall direkt im Erstversuch und es kommt nicht zu einem Prüfungsstau zum Zweitversuch oder in kommenden Semestern. Der Unterstellung, dass die Studierenden die Regelung missbräuchlich nutzen würden, stellen wir uns mit aller Härte entgegen – ganz im Gegenteil streben sie nach einem möglichst geregelten Studienfortschritt, wie auch die gute Annahme der digitalen Lehrangebote belegt. Weiterhin halten wir den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht für verletzt, da die Regelung für alle Studierende gleichermaßen sinnvoll ist und von allen in Anspruch genommen werden kann. Der Sinn ist nicht, hier eine Agenda voranzutreiben und dafür die Corona-Krise auszunutzen. Auch wir sind schlicht und einfach daran interessiert, den Studierenden die Möglichkeit zu bieten, in diesem Semester möglichst viele Leistungen abzulegen – ohne dabei allerdings Nachteile aus der besonderen Situation befürchten zu müssen.
Wir drängen daher auf ein Umdenken der Hochschullehrer*innen – ganz besonders mit Blick auf die Einrichtung von Freiversuchen, aber auch mit Blick auf die Anwendung alternativer Prüfungsformate!