Sehr geehrter Herr Wissenschaftsminister Prof. Dr. Willingmann,
Sehr geehrter Herr Finanzminister Richter,
Studierende sind eine Bevölkerungsgruppe, die in Deutschland in einem überdurchschnittlichen Maß von Armut betroffen ist. Laut einer Studie des Paritätischen Gesamtverbandes lebten im letzten Jahr 30% der Studierenden in Armut, bei alleinlebenden Studierenden sogar 79,2%, Tendenz steigend [1]. Wir reden hier von Mai 2022, noch vor den explodierenden Preisen in allen Lebensbereichen. Das sind alarmierende Zahlen, die u.a. weitreichende Reformen des BAföG auf Bundesebene nach sich ziehen müssten. Das allein reicht aber nicht aus. Der größte Kostenfaktor für Studierende ist in der Regel das Wohnen. Für Studierende in Armut sind dabei Studierendenwohnheime von zentraler Bedeutung, denn sie stellen den nötigen bezahlbaren Wohnraum bereit, auf den die Studierenden angewiesen sind. Im Süden des Landes ist das Studentenwerk Halle verantwortlich für die Wohnheime. Dabei darf es ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgen. In Halle stellt das Studentenwerk 1.542 Wohnheimplätze an insgesamt 10 unterschiedlichen Standorten bereit, in Wohngemeinschaften und Einzelapartments. Gehen wir davon aus, dass die 30% aus der Studie des Paritätischen auf Halle anwendbar sind. An der MLU sind derzeit 20.774 Studierende eingeschrieben [2]. An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein waren es im Wintersemester 20/21 noch einmal 1.158 Studierende [3] , also insgesamt 21.932 Studierende. Davon werden sicher nicht alle in Halle wohnen. Gehen wir davon aus, dass nur 15.000 davon in Halle wohnhaft sind, so leben davon 4.500 in Armut – deutlich mehr als es Wohnheimplätze gibt. Die Situation ist also ohnehin schon prekär, da aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich mehr Studierende in Armut leben, als das Studentenwerk unterbringen kann, und die damit auf den auf Profit ausgerichteten Wohnungsmarkt angewiesen sind.
Es ist also wichtig, neuen Wohnraum für Studierende zu schaffen, worum das Studentenwerk durchaus bemüht ist. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Initiative “Junges Wohnen” von Seiten des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Wir hoffen, dass die dafür zur Verfügung gestellten Gelder auch im Land Sachsen-Anhalt bei den Studierendenwerken ankommen, um den Neubau von günstigem Wohnraum für Studierende voranzutreiben. Viel wichtiger ist aber, den bisher vorhandenen Wohnraum für Studierende, insbesondere in seiner Bezahlbarkeit, zu erhalten. Eine vom Studentenwerk Halle angekündigte Mieterhöhung zum 01.04.2023 in seinen Wohnheimen sorgt nun dafür, dass genau das Gegenteil passiert. Das Studentenwerk gibt dabei seine gestiegenen Energiekosten an die Studierenden weiter, was erwartbar war, erhöht aber im gleichen Zug Grundmiete und Möbelpauschale. Das wird u.a. mit erhöhten Kosten für Bau, Renovierung und Möbel begründet. Uns sind Erhöhungen von teilweise weit über 30%, in einigen Fällen sogar über 40% bekannt – in absoluten Zahlen sprechen wir teilweise von Erhöhungen um die 90€, manchmal sogar darüber. Wohnheimzimmer des Studentenwerks in Außenbezirken wie z.B. den Brandbergen unterscheiden sich durch die Erhöhungen von ihrem Preis her teilweise nicht mehr erheblich von Zimmern in Wohngemeinschaften in der Innenstadt. Die o.g. Differenzen sind Beträge, die Studierende teilweise einfach nicht leisten können. So werden Studierende teilweise gezwungen, Nebenjobs aufzunehmen und so ihr Studium zu verlängern, um ihre Miete bezahlen zu können. Außerdem können höhere Preise dazu führen, dass Studieninteressierte ihr Studium erst gar nicht aufnehmen oder bereits Studierende zu einem Studienabbruch gezwungen werden. Das kann und darf nicht der Anspruch des Studentenwerkes sein, wie es an der MLU ohnehin schon 30% der Bachelorstudierenden tun [Quelle]. Aus den öffentlichen Erklärungen des Studentenwerkes ergibt sich außerdem nicht, warum die Erhöhungen jetzt in dieser Höhe notwendig wären. Öffentlich einsehbare Zahlen gibt es nicht. Auch eine Aufschlüsselung mit klaren Kriterien, an denen ein System hinter den Erhöhungen erkennbar wäre, ist nicht vorhanden. Im Gegenteil, die Erhöhungen wirken wie Willkür, wenn kleine Zimmer in Wohngemeinschaften außerhalb der Innenstadt plötzlich auf einem Preisniveau sind mit größeren Einzelapartments in der Stadtmitte. Wir haben deshalb das Studentenwerk mehrfach, auch öffentlich, aufgefordert, die Mieterhöhung zurückzunehmen.
Doch wir machen uns keine Illusionen, dass das Studentenwerk dem nachkommen wird, geschweige denn ohne weiteres kann. Das hat einen einfachen Grund: das Studentenwerk ist unterfinanziert. Wir glauben dem Geschäftsführer Herrn Kohrs durchaus, wenn er sagt: “Wir erhalten für diesen Bereich derzeit keine staatlichen Zuschüsse, so dass wir uns treffende Kostensteigerungen an die Mieter weitergeben müssen. Vor diesem Hintergrund bitten wir um Verständnis, dass wir die Mieterhöhung, welche in unserem Wirtschaftsplan 2023 einkalkuliert und vom Verwaltungsrat in seiner Sitzung am 09.12.2022 beschlossen wurde, nicht beschränken können und so wie von uns angekündigt durchführen müssen.” [4] Dass das Studentenwerk sich hier offensichtlich gezwungen sieht, ein finanzielles Defizit durch Mieterhöhungen zulasten der Studierenden zu bewältigen, ist eine unhaltbare Situation. Studierende sind ein wirtschaftlicher und kultureller Motor für das gesamte Land Sachsen-Anhalt. Insbesondere die Städte Halle und Magdeburg werden nicht unerheblich durch den guten Ruf und die Größe ihrer Universitäten getragen. Wir sind deshalb frustriert, dass das studentische Wohnen auf Landesebene, insbesondere durch Ihre Ministerien, gar nicht oder nicht wahrnehmbar in den Blick genommen wird. Das Studentenwerk Halle darf Studierende, für die es da sein sollte und will, nicht unnötig und unverhältnismäßig belasten. Dafür braucht es in seiner aktuellen Lage die nötige Unterstützung vom Land, um weiterhin wie bisher bezahlbaren Wohnraum anbieten zu können. Das bedeutet konkret die Bereitstellung zusätzlicher Gelder an das Studentenwerk für studentisches Wohnen. Wir fordern Sie deshalb auf, das Studentenwerk Halle zu unterstützen und nicht die Studierenden zur Kasse zu bitten, und damit die Attraktivität des Landes für junge Menschen noch mehr aufs Spiel zu setzen.
Für weiteren Dialog stehen wir gern zur Verfügung. Dieses Schreiben wird am 16.03.2023 veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen
i.A.
Jan Niklas Reiche & Anton Borrmann
Vorsitzende Sprecher
&
Franka Wolberg & Johannes Kohl
Sprecher*innen für Soziales
für den Studierendenrat der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Verweise:
- https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/PaFo-2022-Armut_von_Studierenden.pdf
- https://www.prorektoratse.uni-halle.de/stabsstelle/1066734_2805267/
- https://www.burg-halle.de/hochschule/presse/informationen-zur-burg/a/die-burg-in-zahlen/
- https://studentenwerk-halle.de/news/mietanpassungen-in-unseren-wohnheimen-kommentar-des-geschaeftsfuehrers