Herr Prof. Varwick ist seit 2013 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik am Institut für Politikwissenschaft. Über seinen Lehrauftrag hinaus ist er allerdings auch sehr aktiv im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs. So ist er regelmäßig Gast in verschiedenen Talkshow-Formaten, gesuchter Interviewpartner diverser Medien und betreibt aktiv verschiedene Social-Media-Profile. Obwohl es an seiner fachlichen Expertise prinzipiell wenig Zweifel geben kann und soll, fällt er jedoch regelmäßig mit streitbaren Stellungnahmen zu diversen Themen auf. So solidarisierte er sich mit Werner Patzelt, als dieser über seine verharmlosenden Positionen zur Pegida-Bewegung in Kritik geriet [1] oder bezeichnete die griechische Syriza-Regierung als „unappetitlich“ [2].
Gestern allerdings empfahl Varwick mit Blick auf den Russland-Konflikt in einem Interview mit n-tv, als mögliches Lösungsszenario, der ukrainischen Regierung, nach Berlin oder Warschau ins Exil zu gehen. So könne die Ukraine von Russland „demilitarisiert“ werden, durch den Kreml eine „russlandfreundliche Regierung“ installiert werden und somit die in seinen Augen unvermeidlich ohnehin auf ein solches Ergebnis hinauslaufenden Kriegshandlungen beendet werden, die zahllose Leben sowohl von Soldaten als auch ukrainischen Zivilisten fordern.
Diese Position halten wir für höchst problematisch, da sie suggeriert, dass die Ukraine selbst für den Tod der zahllosen Zivilisten verantwortlich sei, da sie der russischen Aggression im Rahmen des Angriffskrieges nicht nachgibt. Nicht nur allerdings hat die Ukraine klar gemacht, dass sie ein solches Szenario nicht akzeptieren wird, und Belehrungen aus Deutschland erscheinen in dieser Frage ohnehin unangebracht, auch liegt diese Verantwortung ausschließlich bei Russland, welches diesen Krieg in seinem neoimperialistischen Bestreben begonnen hat und führt.
Die Ukraine als souveränen Staat anerkennen bedeutet auch, die Entscheidungen dieses Staates anzuerkennen und zu respektieren, unabhängig davon, ob man ihnen zustimmt oder nicht. Die ukrainische Regierung hat mehr als klar gemacht, dass sie eine Kapitulation ablehnen und einen Weg der Selbstverteidigung gewählt haben. Wir halten es für sinnvoll und unterstützen es, dass Deutschland diese Entscheidung respektiert und der Ukraine mit Waffenlieferungen versucht in ihrer Entscheidung zu unterstützen. Die Äußerungen von Herrn Prof. Varwick stellen diese Akzeptanz der ukrainischen Entscheidung zum Widerstand nun infrage, indem sie von oben herab der Ukraine rät die eigene Souveränität im Prinzip aufzugeben. Die Ukraine hat ein Recht zu existieren, eine Welt in der nach dem Recht des militärisch Stärkeren entschieden wird, wie es die Konsequenz aus Prof. Varwicks Äußerungen ist, wäre katastrophal.
Nicht zuletzt der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk selbst kritisierte die Stellungnahme von Prof. Varwick harsch [4]. Der Studierendenrat selbst fordert Herrn Prof. Varwick weiterhin ausdrücklich dazu auf, in dieser Frage deutlich mehr Zurückhaltung walten zu lassen. Nicht nur werden dadurch die ukrainischen und europäischen Bemühungen schwer beschädigt, auch wird so vor allem der russischen Perspektive – und damit der des Aggressors – Vorschub gegeben.
[1] https://www.facebook.com/1585988224964651/posts/2288052351424898/
[2] https://www.deutschlandfunk.de/nato-mitgliedschaft-griechenland-hat-zentrale-rolle-fuer-100.html
[3] https://www.n-tv.de/politik/Experte-raet-zu-ukrainischer-Exilregierung-in-Berlin- article23176148.html
[4] https://twitter.com/MelnykAndrij/status/1500628342139203584